Schlüchtern, Ev. Stadtkirche St. Michael (2020-22)

Wandgestaltung (Detail)
Wandgestaltung (Detail)
vorher - nachher
vorher - nachher

Neuanschaffung der Prinzipalien und Umgestaltung der Kanzel/Wand

 

 

Skizzierte Gestaltungsidee

 

Der Entwurf stellt dem Kirchenraum mit seiner zukünftigen Farbigkeit, die auf der ursprünglichen Fassung aus der Erbauerzeit von 1838 - 1840 beruht, ein neues Bild der Gemeinschaft sowie neue Materialien gegenüber. Die räumliche Schichtung aus gläsernem Wandbild, Wandscheibe und L-förmig angebundener Altarinsel schafft eine größere Nähe zur Gemeinde. Eine reduzierte Formensprache soll der Klarheit mit einem eindeutigen Zielpunkt und der Konzentration auf das liturgische Geschehen dienen. Gestaltetes Glas, Messing oder Tombak in zwei Wertigkeiten und farblich abgestimmtes Eichenholz sollen zu einem harmonischen Vierklang verbunden werden.

Raumsituation mit restauratorischem Befund (2020): Ausgehender Klassizismus um 1840 (links) und Fassung um 1900 (rechts) 

Fotosimulation unter Berücksichtigung der ersten, klassizistischen Farbfassungen (1838-40) an den Holzeinbauteilen



Taufstein

 

Der bestehende Taufstein wird zentral unterhalb der vier Säulen im Mittelgang, ein Platz unweit des Eingangs, positioniert. Damit wird die Taufe als Aufnahme eines Menschen in die christliche Glaubensgemeinschaft symbolisiert. Der neue Standort des Taufsteins war Auftrag der Gemeinde im Wettbewerbsverfahren zur Neugestaltung des Altarraumes.


Taufgestell

 

Das neue Taufgestell umhüllt einen Teil des Taufsteins. Bei größeren Tauffeiern kann das Taufgestell mitsamt der bestehenden Taufschale im Altarraum aufgestellt werden. Die Silhouette zeichnet die charakteristische Kelchform des Taufsteins nach. Sie gibt den Blick frei auf den Altar; dadurch werden die beiden Orte visuell und symbolisch miteinander verbunden.

 

Eine goldfarbene konzentrische Dreiheit aus Taufschale, ringförmiger Halterung am Taufgestell und neuem Ring im Taufstein erinnert an den Taufbefehl aus Matthäus 28,19: […] taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.



Altar

 

Mit der Taufe finden Menschen Eingliederung in die christliche Gemeinschaft; im Abendmahl wird sie gefeiert. Der neue Altar ist Zeichen dieser Gemeinschaft. Als Block rückt der Altar optisch mehr in das Zentrum. Zwölf Öffnungen im würfelförmig gefügten Metallkörper, der zwei Quader aus Eichenholz umfängt, erinnern an die Gemeinschaft Jesu Christi mit den Aposteln.

 

Vor- und Rücksprünge an Metall und Holz greifen Bauelemente des Kirchenraumes auf. Sie bewirken ein schönes Licht- und Schattenspiel. Matte und glänzende Oberflächen brechen und reflektieren das einfallende Licht. Die zentrale Position im Altarraum entspricht dem Wunsch der Gemeinde, auch zukünftig um den Altar herum feiern zu können.



Ambo

 

Durch das Ineinandergreifen der Materialien Holz und Metall korrespondiert das schlichte Lesepult mit dem Altar. Über vier emporragende Stützen wird ein Gestell mit Ablagefläche ausgebildet. Ein vertikales, zur Buchablage gefaltetes Metallband durchdringt die Konstruktion. Die Dualität der Bauteile erinnert an zwei aufeinander bezogene Pole wie Gegenstand und Geist oder an zwei Bücher: Das Alte und das Neue Testament.

 

Zusammen mit dem separaten Antritt kann das Lesepult näher an die Gemeinde herangerückt werden.



Fotosimulation
Fotosimulation

Wandscheibe mit Kanzel

 

Aus der neuen Altarinsel, die sich kontrastreich vom rötlichen Sandsteinboden abhebt, ragt L-förmig eine Wandscheibe empor. Sie beruhigt den liturgischen Bereich und lässt den neuen Altar und das Kreuz angemessen in Erscheinung treten.

 

Die Gliederung der Wandscheibe in zwei Ebenen mit auskragendem Predigtort ist Resultat einer Überarbeitung des ersten Entwurfes. Analog zum Lesepult erfolgt die Materialwahl der Kanzel. Beide Orte der Wortverkündigung werden so optisch verknüpft.


Antependien

 

Die liturgischen Farben wechseln mit dem Verlauf des Kirchenjahres. Schlanke, jeweils unterschiedlich strukturierte Bahnen reichen bis auf Höhe des Altars hinab und versinnbildlichen so die Verbindung von Wort und Sakrament. Die rhythmische Anordnung der horizontalen Linien an Wandscheibe und Antependien greift das ordnende Schema des liturgischen Kalenders auf.

 

Durch die Anordnung auf der rechten Seite der Wandscheibe werden die liturgischen Farben mit Altar und Lesepult in eine spannungsreiche räumliche Beziehung gesetzt. Der Entwurf berücksichtigt die Farben Grün (für Hoffnung und Wachstum im Glauben und in der vegetabilen Natur), Weiß (stellt als Christusfarbe die Sinnbildlichkeit des Lichts dar), Violett (Zeichen der inneren Ein- und Umkehr) und Rot (symbolisiert die Kraft des Heiligen Geistes). Grafisch geführte Linien entfalten dabei eine nuancierte Struktur und Oberfläche und spielen mit dem wandelnden Raumlicht.



Kreuz

 

Das bisherige Altarkreuz wird als modifiziertes Standkreuz weiterverwendet. Durch Drehung um 90° und Umkleidung mit einem kreuzförmig gefalteten Band entstehen zwei Ansichten – die Kreuzarme weisen in alle Richtungen. 

 

Der vorgefundene, fortlaufende Text aus Offenbarung 21,6-7 auf den Armen des Kreuzes ist weiterhin lesbar und war Ausgangspunkt für die Glasgestaltung: Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein. (Hier in der Lutherübersetzung von 2017)

 

Ein neuer Osterkerzenleuchter, zwei neue Altarleuchter, ein Kerzentisch, der z. B. bei besonderen Gottesdiensten an den Altar gestellt werden kann, runden das Ensemble ab.



Fotosimulation
Fotosimulation

Glasgestaltung

 

Inspiriert durch Ornamente am Taufstein und Abbildungen von Wasserstrukturen, überlagern und durchdringen sich bruchstückhafte Kreisringe. Die Komposition als imaginäres Ostfenster schafft eine Verbindung zu den zwölf im Kirchenraum sichtbaren Rundfenstern. Ein sich fügendes Kreuz betont das Zentrum.

 

Die Glasgestaltung über der Kanzel nimmt Bezug auf Kreuz und Taufort. So wie die Taufe im Spannungsfeld von Tod und Leben steht (Römer 6,3-4, vgl. Wilfried A. Battefeld in: Kirchentöne Nr. 124, S. 6), findet sich die Doppeldeutigkeit symbolisch im Material des Glases wieder. Das erstarrte Material wird in organische, weich fließende Formen gebracht; Beständigkeit und Fragilität stehen sich gegenüber.

 

Transparente, thermisch verformte Gläser werden mit lasergeschnittenen Metallformen adhäsiv zusammengefügt. In der Oberfläche bricht sich das Raumlicht. Einzelne Gläser scheinen vor der Wandebene zu schweben. Die vorherrschende changierende Farbigkeit erinnert an das im Wasser reflektierte Himmelblau.

 

Die Gefüge aus Glas und Metall werden zusätzlich rückseitig fluoreszierend beschichtet. Ein subtilerer Farbklang erschließt sich den aufmerksamen Betrachter*innen auf den zweiten oder dritten Blick; je nach Lichteinwirkung und Bewegung kann eine feine, schemenhafte Aura auf der weißen Wandebene beobachtet werden – ähnlich wie Ringe auf einer Wasseroberfläche, die erst durch einen Impuls freigesetzt und im Licht erlebbar werden.

 

Ansichten und Farben können sich noch ändern. Modifikationen behalten wir uns vor. Je nach Bildschirmeinstellung und Auflösung des Monitors kann die dargestellte Farbigkeit variieren und sich von der tatsächlichen unterscheiden.


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KIRCHENTÖNE Nr. 124 Sept. - Nov. 2020 (Seite 4-7)
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KIRCHENTÖNE Nr. 126 März - April 2021 (Seite 6+7)
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